Vergleiche mit den drei Indienreisen, die ich mit Ulla in den Nuller- bzw. Zehnerjahren nach Indien gemacht habe, verbieten sich, denn
- wir waren immer während der Herbstferien, also jeweils nur 10 Tage, vor Ort
- in Kerala damals hatten wir ein Homestay als Basislager und haben von dort aus Unternehmungen gemacht
in Tamil Nadu haben wir ein Auto mit Fahrer gebucht und somit eine organisierte Rundreise gemacht
wie das in Karnataka war, weiß ich nicht mehr - wir waren zu Zweit unterwegs, wobei ich mich immer auf Ullas exellente Recherchen und Planungen verlassen konnte
- ich (Ulla natürlich auch) war deutlich jünger als jetzt
Brainstorm – keine Hierachie
die Unterschiede zwischen den Bundesstaaten Tamil Nadu und Kerala sind riesengroß ( vielleicht wie zwischen Rumänien und der Schweiz), dennoch gibt es Beobachtungen und Erfahrungen, die auf beide Staaten zutreffen)
- die Menschen sind ungeheuer freundlich, warmherzig, hilfsbereit mir als Fremden gegenüber
- das Wetter ist für mich als Reisenden grandios. Ich liebe das Licht und die Wärme. Mein Urteil fiele sicherlich anders aus, wenn ich hier (vielleicht sogar körperlich) arbeiten müsste.
Für die meisten Einheimischen beginnt der Tag morgens früh gegen 4 Uhr, während der Mittagshitze gibt es eine lange Ruhephase, sobald die Sonne tief steht (so ab 17 Uhr) sind wieder alle auf den Beinen - auch das Essen mag ich sehr. Es ist überwiegend vegetarisch (Chicken bekommt man überall und Fisch und Meeresfrüchte überall an der Küste), stark gewürzt, oft ziemlich scharf (ich liebe es!) und so variantenreich, dass es in sechs Wochen keine Langeweile gibt.
Auf Dauer wäre es mir zu reis- und erbsenmehllastig. Die Gemüse sind immer bis zur Unkenntlichkeit verkocht. Was ich total vermisse sind frische Salate.
Dass es (außer in Touristenzentren) keinen Alkohol zu kaufen oder zu bestellen gibt, stört mich überhaupt nicht mehr – seit ich auf Alkohol verzichte, hat sich meine Lebensqualität deutlich erhöht - die Landschaften außerhalb der Städte, insbesondere in den Bergen, sind grandios. Allerdings schaut man sich die landschaftlichen Schönheiten lieber aus dem rollenden Fahrzeug aus an. Wanderungen sind auf eigene Faust nicht möglich.
Auf der anderen Seite muss ich feststellen, dass es schlicht und einfach viel zu viele Menschen sind, die sich begrenzten Lebensraum teilen müssen. Das führt zu
- einem wahnsinnigen, permanenten Lärmpegel, den ich in dieser Form höchstens aus Ballungszentren in Vietnam oder aus Bangkok kenne.
- er speist sich überwiegend aus dem Straßenverkehr. Die Leute fahren wie verrückt. Es gibt niemanden, der vorausschauend fährt – jede Lücke wird konsequent zugefahren, man überholt sich ständig gegenseitig, es gilt das Recht des Stärkeren, alle motorisierten Verkehrsteilnehmer machen durch Hupen ständig aus sich aufmerksam, es herrscht das blanke Chaos – Fußgänger haben so gut wie keine Rechte – sie lassen in absurdesten Situationen Fahrzeugen den den Vortritt. Abstand zwischen Fahrzeugen und Fußgänger beträgt oft nur wenige Zentimeter.
Ich habe oft den Eindruck, dass die Fahrweise hochaggressiv ist und als Möglichkeit genutzt wird, sich von der anonymen Menschenmasse abzuheben - nicht nur der dichte Verkehr erzeugt Lärm, auch Händler, die ihre Waren auf Hand- oder Motowagen anpreisen, tun dies mit völlig übersteuerten Lautsprechern. Auch An- bzw. Durchsagen auf Bahnhöfen, in Shoppingzentren, in Tempeln, Moscheen, Schulen, im Fernsehen, auf dem privaten Smartphone – überall wird volle Lotte Krach produziert.
- Nicht zu übersehen ist die ungeheure Armut vieler Menschen. In Kerala nur in Einzelfällen, in Tamil Nadu dagegen – insbesondere in den Ballungsräumen – flächendeckend bettelnde, am Straßenrand vor sich hinsiechende Menschen. Es gibt keine staatliche Unterstützung, aber einige (tafelähnliche) Speisungen, aber überwiegend sind diese bettalarmen Menschen auf die paar Rupies angewiesen, die ihnen von Passanten in die Hand gedrückt werden.
Auffallend finde ich immer wieder, wie gepflegt die Menschen hier sind. Während ich selbst manchmal mittags schon merkte, dass eine Dusche und ein frisches Hemd mir guttäte, habe ich im Bus nie neben Menschen gesessen, von denen ich dasselbe gedacht hätte.
Ich lasse diese Auflistung bewusst offen, weil mir sicherlich später noch Vieles durch den Kopf gehen wird, was ich festhalten oder überarbeiten muss.
Ein Fazit ist sicher:
Es ist auf dieser sechswöchigen Reise beinahe täglich so viel passiert, dass ich sie zu einer meiner spannensten und interessantesten Erfahrungen zähle. Ich kann jedem jungen Menschen zu einer solchen Reise raten, ich dagegen fühle mich inzwischen zu alt für eine längere Reise dieser Art. Ich freue mich nun auf Thailand.